Samstag, 7. Januar 2012

Interview mit Carlsen Comics-Programmleiter Ralph Keiser




1) Herr Keiser, können Sie sich kurz selbst vorstellen?

Ich bin Ralph Keiser Programmleiter von Carlsen Comics.

2) In Ihren eigenen Worten, was ist eigentlich eine Graphic Novel?

Ein Comicroman, also eine längere Comicgeschichte, die sich nicht nach festen Seitenvorgaben richtet, die einen gewissen Anspruch hat und keine Genre-Geschichten wie SF oder Fantasy enthält. Das ist unsere spezielle Carlsen-Definition. Eine allgemeine gibts nicht.

3) Haben Sie von folgender Kontroverse gehört:
Graphic Novels = Comics in Buchform = bloße Marketingstrategie?


Habe ich. Halte ich für vollkommen sinnlos und  - Verzeihung-  akademisch. Natürlich sind Graphic Novels Comics, aber sie sind eben anders als die weit verbreiteten Alben oder die amerikanischen Heftchen. Von daher dient ein besonderer Begriff nicht nur dem Marketing (sicher auch), sondern ebenso der Abgrenzung und der Klarheit für den Kunden.

4) Wann und warum hat sich Carlsen entschieden, die ersten Graphic Novels in das Programm aufzunehmen?

Also Comics, die man heute als GN bezeichnen könnte, hat Carlsen seit den 80ern gemacht, insofern lässt sich kein genaues Datum festlegen. Wir haben wirklich gemerkt, dass es offensichtlich ein größeres Publikum für anspruchsvolle Comicgeschichten gibt, als der erste Band der Serie Berlin von Jason Lutes (link) nach seiner Veröffentlichung 2003 begeistert aufgenommen wurde und sich sehr gut verkauft hat. Aber es hat noch bis 2007 gedauert, bis wir das Segment GN in unserem Programm aus der Taufe gehoben und mit einem eigenen Logo versehen haben. Der erste Titel, der das trug, war Autoroute du Soleil (link).

5) Wie nahm der deutsche Markt Graphic Novels auf?

Sehr gut. Wobei erst die sehr gute Aufnahme in den Medien kam, danach zog der Markt nach.

 6) Wie schlagen sich Graphic Novels auf dem Markt im Vergleich zu Comics und Manga?

Das ist nur schwer genau zu beziffern, weil es keine allgemein anerkannte Warengruppe GN gibt. Natürlich ist der Mangamarkt immer noch um ein Vielfaches größer als der GN-Markt. Auch der Markt der herkömmlichen Comics ist sicher sehr viel größer, aber die GN wachsen derzeit am stärksten und sicher am dynamischsten.

 7) Graphic Novels werden heute in größeren Buchhandlungen vom Comic- und Mangaregal getrennt präsentiert.
Entscheidet sich der Buchhandel selbst zu dieser Präsentation oder haben die Verlage da ein Wörtchen mitzureden?


Als Verlag können wir nur Anregungen für Platzierungen geben. Die Entscheidung liegt beim Handel selbst.

8) Gab/gibt es Bestrebungen, Eigenproduktionen herauszugeben oder spezialisiert sich der Verlag eher auf das Übersetzen von Produktionen aus dem Ausland?

Wir haben eine ganze Reihe von Eigenproduktionen in unseren GN, einige davon gehören zu den erfolgreichsten Titeln überhaupt, wie z.B. Cash - I see a darkness von Reinhard Kleist (link) oder Faust von Flix (link). Daneben haben wir natürlich auch Lizenzausgaben. Wir wollen stets die besten Titel bieten, egal, woher sie kommen. An der Förderung eigener Autoren sind wir aber besonders interessiert.

9) Wie sehen Sie die Zukunftschancen der Graphic Novel?

Sehr gut. Wir versuchen, ein immer größeres Publikum zu begeistern. Im Gegensatz zu sehr speziellen Genres wie den Superhelden oder Fantasycomics haben die GN die Chance, ein wirklich breites Publikum zu erobern. Daran arbeiten wir, auch wenn das noch eine ganze Weile dauern mag.

10) Eine letzte Frage (eigentlich sogar zwei):
Lesen Sie selbst privat auch Graphic Novels? Und haben Sie da eine Empfehlung?


Ja, tue ich. Zwei Titel, die ich in letzter Zeit wirklich sehr gerne gelesen habe, sind Die drei Musketiere von Carlsen (link) und Die drei Schatten von Reprodukt (link). Wobei die Dopplung der Zahl drei hier nur Zufall ist.

(Das Interview wurde geführt von Marco Paal)